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Spielort: Hamburg, Hauptkirche St. Michaelis (Michel)

Tickerts: (link)

Ensemble Polyharmonique
Magdalene Harer | Sopran
Joowon Chung | Sopran
Alexander Schneider | Alt und musikalische Leitung
Jaro Kirchgessner | Alt
Johannes Gaubitz | Tenor
Sören Richter | Tenor
Tobias Ay | Bass
Matthias Lutze | Bass

Anna Fusek | Barockvioline und Blockflöten
Kerstin Fahr | Barockvioline und Blockflöten
Alma Stoye | Viola da Gamba
Christian Heim | Viola da Gamba
Frauke Hess | Violone
Bernhard Reichel | Theorbe
Flóra Fábri | Orgel

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Von Schütz zu Bach: die Begräbniß=Concerte von Michael Wiedemann

Ein nicht unerheblicher Teil der Gelegenheitsmusik des 17. Jahrhunderts ist in Form sogenannter Kasualdrucke überliefert. Dabei handelt es sich um mehr oder weniger repräsentative Druckschriften, die den Ablauf eines feierlichen Anlasses – einer Kasualie – beschreiben und mitunter wertvolle Informationen über die Lebenswirklichkeit der Frühen Neuzeit und deren soziokulturellen Kontext liefern. Unter den Kasualdrucken nehmen die Leichenpredigten den größten Raum ein. Sie enthalten neben der Predigt, üblicherweise noch den Lebenslauf des Verstorbenen, sowie Abdankungen, Trauerschriften, Epicedien (Trauergedichte) und nicht selten auch bildliche Darstellungen des Trauergeschehens. In einigen Fällen überliefern sie noch zusätzlich die im Rahmen der liturgischen Handlung erklungenen musikalischen Darbietungen, wie Lieder, Motetten oder Geistliche Konzerte.

Das wohl bedeutendste Beispiel einer solchen Kasualmusik stellen die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz dar, die 1636 zur Beisetzung von Heinrich Posthumus Reuß entstanden. Zwar erfolgte die Drucklegung des Werkes aus praktischen Gründen nicht in direktem Zusammenhang mit den übrigen Trauerschriften, sondern geschah separat im gleichen Jahr auf Initiative des Komponisten, dennoch ist die Zuordnung zur Kasualie Reuß eindeutig auf dem Titelblatt vermerkt. Die Musikalischen Exequien verbinden polyphone Tradition, konzertierenden Stil und geistliche Geschlossenheit und gelten noch heute als innigste und eindrücklichste Trauermusik der Frühen Neuzeit. Fast sechzig Jahre später komponierte Michael Wiedemann (1659–1719) seine Begräbniß=Concerte (1693) für die Beisetzung des Freiherrn Sigismund Heinrich von Bibran und Modlau, der seinerzeit zu den wohlhabendsten Grundbesitzern Schlesiens zählte. In drei Teilen entfaltet Wiedemann ein musikalisches Formen- und Klangspektrum, das von konventioneller Anlage über kunstvoll gestaltete Mehrchörigkeit bis hin zu symbolischer Verdichtung führt. Der erste Teil erinnert mit seiner Besetzung von fünf Singstimmen und fünf Streichern stark an die Kompositionen von Wiedemanns Zeitgenossen, bemerkenswert ist jedoch der exzessive Gebrauch von Choralzitaten, die innerhalb des musikalischen Geschehens eine wichtige, strukturgebende Rolle spielen. In stetem Wechsel erklingen Versatzstücke der Choräle „Ach wie elend ist unser Zeit“ und „Ich hab’ mein Sach’ Gott heimgestellt“ und durchziehen das ganze Stück. Beschlossen wird der erste Teil durch einen figurierten Choral, der stark vergleichbare Werke thüringischer Komponisten erinnert. Im zweiten Teil steigert sich die Anlage zu einem dreichörigen Konzert, das Wiedemann bezüglich seiner räumlichen Disposition detailliert beschreibt:
1.Der Lehr-Chor singt mit Alt, Tenor und Bass biblische Texte, begleitet von zwei Blockflöten.
2.Der Glaubens-Chor antwortet in Duett mit zwei Sopranen begleitet von drei Gamben.
3.Die Seelen-Stimme intoniert den Choral „Herzlich tut mich verlangen“, begleitet von einer Laute, die hinter dem Sarg verborgen ist.
Hier verschmelzen Raum, Symbolik und Klangfarben: Flöten von pastoralem, gedecktem Charakter, Gamben als Ausdruck der Klage, die verborgene Laute als intime Stimme der Seele. Der dritte Teil führt die Hörenden in den Hochbarock. Im kurzen „Beschluss-Liedgen“ auf die Worte des Consummatum est („Es ist vollbracht"), gesetzt im harmonischen Klangbild des 18.Jahrhunderts, intoniert zunächst ein wiederum in der Gruft verborgener Solosopran mit Lautenbegleitung, während das gesamte Ensemble die einzelnen Liedzeilen bestätigend wiederholt. Der Verstorbene tritt hier als fictio personæ auf: Sigismund von Bibran und Modlau richtet als „Seelen Stimme“ Trost und Zuversicht an die Hinterbliebenen. Die Musik bewegt sich aus der Objektivität in die Subjektivität. Bemerkenswert ist die Dreiteiligkeit von Wiedemanns Begräbniß=Concerten, die unmittelbar an die Disposition von Schütz’ Musikalischen Exequien anknüpft. Beide Werke folgen derselben liturgischen Dramaturgie: ein erster Teil vor der Predigt, die weiteren Teile nach der Predigt. Damit gehören Schütz’ und Wiedemanns Werke zu den wenigen Belegen grossangelegter Trauermusiken aus dem 17. Jahrhundert. Der Musikwissenschaftler Gregory Johnston¹ hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Musikalischen Exequien Michael Wiedemann bei der Komposition der Begräbnismusik für Sigismund Heinrich als direktes Vorbild dienten. Es sind eben die „letzten Dinge“, die auch von Johann Sebastian Bach in seinem Actus tragicus (1707) aufgegriffen werden: der Choral als roter Faden, die Besetzung mit Gamben und Flöten, das „Sich-Verlieren“ einer einzelnen Seelen-Stimme in der Ewigkeit und der Bass, der seine Tessitur verlässt, um in die Höhen des Paradieses zu gelangen. All dies führt die „güldene Sterbekunst“ des 17. Jahrhunderts zur Vollendung. So erscheinen Schütz, Wiedemann und Bach in einer Linie: Schütz als schöpferische Quelle, Wiedemann als Brücke in den Hochbarock, Bach als Vollender.
Zum ersten Mal seit 1693 erklingt Wiedemanns Werk wieder – eine Vereinigung von Vergangenheit und Gegenwart, die uns heute neue Horizonte eröffnet.

Alexander Schneider/ Cosimo Stawiarski

¹ Gregory S. Johnston, Heinrich Schütz’s Musikalische Exequien: Evidence of Influence, Canadian University Music Review 13 (1993), 1–14.

Programm:
Melchior Franck (1579–1639)
Unseres Herzen Freude hat ein Ende

Michael Wiedemann (1659–1719)
Epitaphium Musicum

Heinrich Schütz (1585–1672)
Musikalische Exequien

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Actus Tragicus – BWV 106

Adresse

Dr. med. Ariane Deu & Karin Janetzki - Praxis für ganzheitliche Medizin
Kieler Straße 413
22525 Hamburg
Deutschland

53.5916576, 9.9286984